Wie Mutter Natur den Wald wachsen lässt

Ödlandflächen wieder aufzuforsten ist oftmals schwierig, kostspielig und geht nicht selten in die Binsen. Seit über einem Jahrzehnt setzt die Berner Hilfsorganisation newTree im westafrikanischen Burkina Faso auf die «natürliche Wiederbewaldung». Ihre Zwischenbilanz kann sich sehen lassen.

Landwirtschaft in BUrkina Faso (Bild: T. Veser)

Landwirtschaft in Burkina Faso. Bild: Thomas Veser. 

Karge Böden, Übernutzung, Bevölkerungswachstum und Klimawandel machen den Menschen nicht nur im Zentrum um die Hauptstadt Ouagadougou, sondern auch besonders in den weiter nördlich gelegenen Provinzen das Leben schwer. Sie benötigen grössere Ackerflächen und Brennholzmengen zum Kochen und für die Ernährung der Familien. Jahr für Jahr verliert Burkina Faso nach Angaben des nationalen Umweltministeriums dadurch über 110‘000 Hektaren Waldfläche. Das entspricht mehr als vier Prozent des gesamten Baumbestandes.

Wiederaufforstungsprojekte waren erfahrungsgemäss bisher selten von Erfolg gekrönt – das lässt sich in ganz Afrika belegen. Seit 2006 praktiziert der Schweizer Verein newTree in Burkina Faso einen ganz anderen Ansatz, mit dem der Naturwaldbestand vergrössert werden soll – die «natürliche Wiederbewaldung», bisweilen auch «regenerative Wiederaufforstung» genannt. Nicht der Mensch übernimmt dabei die tragende Rolle, sondern Mutter Natur.

Jungbäume als Ziegenfutter

Eingezäute Parzellen (Bild: T. Veser)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Grundidee ist einfach: eine Bauernfamilie oder Frauengruppe erklärt sich bereit, die für sie neuen Methoden in der Landwirtschaft auszuprobieren. So wird beispielsweise ein etwa drei Hektar grosses Feld mit einem Metallzaun eingefriedet, darin wird auf maximal einem Viertel biologische Agro-Forstwirtschaft angewandt (ein Nebeneinander von Bäumen und Nutzpflanzen anstelle von chemischem Dünger). Das während der Regenzeit spriessende Gras wird als Heu geerntet und gelagert, anstelle Tiere darin weiden zu lassen. Auf diese Weise vor Tieren, menschlichem Zugriff und Buschfeuer geschützt, regeneriert sich das Ökosystem, Bäume und Büsche gedeihen und Felder werden wieder fruchtbar. Nur so kann ein neuer Wald entstehen, denn ausserhalb der eingefriedeten Gebiete holen sich die zahlreichen Ziegenherden das, was sie zum Überleben benötigen.

Die Resultate, nach Angaben von newTree vollständig durch Spendengelder von Privaten und Beiträge institutioneller Geber finanziert, haben die Einheimischen schliesslich überzeugt. Demnach übersteigen heute die Anfragen der Bauernfamilien, die eine Zusammenarbeite wünschen, das newTree-Angebot um ein Vielfaches.

Von Wurzelgeflecht durchzogene Böden

«Zwar sind die Ödlandflächen bereits stark degradiert und teilweise erodiert. Man konnte sich damals kaum vorstellen, dass dort wieder Bäumen wachsen würden», berichtet rückblickend Franziska Kaguembèga Müller. Die aus Baar (ZG) stammende Biologin lebte als Gründerin und Projektleiterin des Vereins newTree bis 2015 in Ougadougou, Burkina Faso.

Wie man inzwischen auch in anderen westafrikanischen Ländern herausfand, sind die Savannenböden von einem schier endlosen Geflecht an Baumwurzeln durchzogen. «Ausserdem befinden sich im Erdreich grosse Mengen an Samen. Durch Zäune geschützt, können ungestört neue Bäume entstehen, zumal auch Vögel Samen herbeibringen und mit den Ausscheidungen der durchziehenden Vieherden viele Samen verteilt wurden», fügt sie hinzu.

Unterdessen umfasst das Projektgebiet 300 Parzellen mit knapp 1000 Hektar umzäunter Fläche, auf denen regelmässig aufgestellten Inventaren zufolge viele neue Bäume gewachsen sind. Im Schnitt liegt demnach der Baumbestand pro Hektar bei ungefähr 700 Exemplaren, und das bei einer Biodiversität von bis zu 160 verschiedenen Sorten.

Ein Tropfen auf den heissen Stein?

Angesichts der Riesengebiete mit degradierten Savannenwäldern drängt sich der Vergleich mit dem berühmten Tropfen auf den heissen Stein auf. Die eingezäunten Parzellen sorgen jedoch längst nicht nur für einen wirksamen Baumschutz. Sie zeigen auf, wie mit einfachen Bodenbearbeitungsmethoden Äcker auch ausserhalb der Zäune regeneriert werden können, welch wichtige Funktionen Bäume im Ökosystem haben und wie sich mit gezielter «Nichtbeweidung» diese Ökosysteme schützen und wieder aufbauen lassen. Ziel ist nach Darstellung von newTree nicht die Einzäunung von ganz Burkina Faso, sondern der Umstieg auf nachhaltige Landwirtschaft und Beweidung. Zum Auftakt hatte der Verein über eine Informationskampagne teilnahmewillige Dörfer gewonnen.

Dawuelge in der Nähe der Hauptstadt gehörte zu den Gemeinden, die den Zuschlag erhielten. Während newTree das teure Zaunmaterial finanzierte, lieferte das Dorf Sand, Kies, Wasser und Arbeitskräfte, welche die Pfosten setzten, den Zaun von Hand flochten und sich bereit erklärten, ihn mindestens sieben Jahre lang zu unterhalten.

Lokale Produkte (Bild: T. Veser)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit einigen Jahren ziehen die Projektpartner in Baumgärten die einheimische Sorte Baobab (Affenbrotbaum), mit dessen nahrhaften Früchten und Blättern die Bewohner ihre Ernährung ergänzen. Der proteinreiche Moringa-Baum etwa kann in seiner Gesamtheit verzehrt werden. Die Frauengruppen ernten in Ihren Gärten jedoch nur die Blätter, trocknen sie und kochen damit lokale Gerichte, die sie auch verkaufen.

Aus den Nüssen des Karité-Baumes gewinnt man Karité-Butter, die zu Seife verarbeitet und in der Kosmetik verwendet wird. In den Baumschulen beschäftigt man sich mit der Aufzucht von Akazien. Diese verstärken als Lebendhecke die Metallzäune und liefern nach einigen Jahren Gummi Arabicum, das für vielerlei Zwecke verwendet wird.

Diese von new Tree geförderten Zusatzaktivitäten helfen den Bauernfamilien dabei, ihr kärgliches Einkommen zu verbessern. Gezielt bewässert werden ausschliesslich die Baumschulen und Baumgärten. Einige Bauern graben jedoch bis zu zwei Meter tiefe Rückhaltebecken. Dort sammelt sich in der Regenzeit Wasser, das für die Jungpflanzen verwendet wird.

Ein Mischwald und seine Vorzüge

Die Wiederbewaldung bringt Mischwälder hervor, die nicht zuletzt für die traditionelle Pflanzenheilkunde wichtig sind. Sie liefern zudem Blätter für die Viehfütterung. Im eingefriedeten Jungwald lässt sich feststellen, dass sich der Boden durch Humusbildung erneuert. Floss Regenwasser früher auf der betonharten Oberfläche ab und führte zu Überschwemmungen, kann es jetzt eindringen und gelangt in das Grundwasser, dessen Spiegel wieder ansteigt. Dank seiner grösseren Biodiversität bietet der Mischwald zudem ökologische Nischen für etliche Tier- und Pflanzenarten.

Inzwischen hat newTree die operative Umsetzung der lokalen Nichtregierungsorganisation Association tiipaalga anvertraut. «Verantwortung und Kompetenzen an lokale Strukturen abzutreten, das entspricht wahrer Entwicklungszusammenarbeit», glaubt Franziska Kaguembèga Müller. «Ausserdem haben es lokale Organisationen erfahrungsgemäss leichter, Geldmittel aus EU-Ländern zu sammeln.» Ein grösseres Projekt mit einer französischen Stiftung finanziert beispielsweise den Bau energieeffizienter Kochstellen, wodurch sich der Holzverbrauch um 60 Prozent senken lässt. Andere Projekte werden von Belgischen Behörden oder auch dem Staat Burkina Faso finanziert, von welchem tiipaalga Ende 2015 mit einem Verdienstorden ausgezeichnet wurde.

Sozial und kulturell anpasste Techniken

Seit geraumer Zeit spielt die Landwirtschaft eine stärkere Rolle in der newTree-Strategie. Ausserhalb der Waldparzellen bearbeiten Bäuerinnen und Bauern fast 5‘300 Hektar Ackerland nach den Vorgaben der natürlichen assistierten Regenerationstechnik (RNA).

Demnach wird die steinharte Oberfläche im ersten Schritt mit Pickeln aufgebrochen. Nach der Zaï oder Tassa genannten Vorgehensweise entstehen kleine Vertiefungen, die mit Kompost und Biokohle angereichert werden. So gelangen während der Regenzeit Wasser und Nährstoffe in den Boden. Anschliessend bringt man in den Vertiefungen Saatgut aus oder pflanzt Baumsetzlinge ein. Die jungen Bäume sind für das Ökosystem wichtig, geben sie doch den Pflanzen Schatten. Sie sorgen dafür, dass sich die Feuchtigkeit länger und bis in tiefere Bodenschichten hält.

Mit Steinkordeln (Bändern aus Steinbrocken) und sogenannten Halbmonden, die im Gelände im leichten Gefälle angebracht werden, lässt sich weitere Feuchtigkeit auffangen. So bildet sich nicht nur Humus, auch die Erosion lässt sich abmildern. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass langfristig nur sozial und kulturell angepasste Techniken wirken, dann packen die Leute die Sache selbst an», bekräftigt Franziska Kaguembèga Müller. Dazu zählt auch der Einsatz von Kompost aus Dung und Stroh. Er verdrängt allmählich den teuren Kunstdünger, der Abhängigkeiten verursacht und der Auslaugung der Böden nur Vorschub leistet.

www.newtree.org