Politik und Wirtschaft

Auf dem Weg zu mehr Kompetenz und Selbstvertrauen

Das Land zwischen Himalaya und Arabischem Meer leidet unter einem chronischen Mangel an Pflegekräften. Mit akademischen Studiengängen will die auf Krankenpflege spezialisierte Aga-Khan-Universität in Karachi Abhilfe schaffen.

Gegen das reiche Architekturerbe der einstigen Mogul-Residenz Lahore und die prächtigen Gebirgslandschaften des Chaiberpasses nahe Peshawar kommt Karachi schwerlich an; die moderne Mega-City am Arabischen Meer zählt heute gut 20 Millionen Einwohner, etwa jeder zehnte Pakistani lebt in der Wirtschaftsmetropole. Dort erstrecken sich aber auch die grössten Elendsviertel des Landes: Karachi ist reich und arm zugleich.

AKU Dafür besitzt Karachi die bedeutendsten Bibliotheken und Hochschulen Pakistans, darunter die private Aga-Khan-Universität (AKU), an der die Krankenpflege- und Hebammenausbildung im Vordergrund steht. Gegründet hatte sie 1983 Prinz Karim Aga Khan IV., geistliches Oberhaupt der schiitischen Ismaeliten, die in Diasporen in der ganzen Welt leben. Die AKU, die auch in Ostafrika und Grossbritannien mit Campussen vertreten ist, gehört zu seinem Entwicklungshilfswerk AKDN. In Genf ansässig, gilt es weltweit als grösste nichtstaatliche Agentur dieser Art.

Der Pflegesektor als Stiefkind

Pakistans Gesundheitsbereich leidet unter chronischem Geldmangel, stark davon betroffen ist die Krankenpflege. In keinem asiatischen Land ist die Zahl der Mitarbeitenden in den letzten Jahren drastischer zurückgegangen. Heute kommt im Schnitt auf 50 Patienten eine Pflegeperson. Weil Heilen wichtiger eingestuft wird als Pflegen, hat die Ärzteausbildung Priorität, der Pflegesektor war weitgehend ignoriert worden. Gegenwärtig besitzt Pakistan insgesamt 162 entsprechende Fachschulen mit jeweils rund 50 Neuzugängen pro Jahr.

Ähnlich ernüchternd ist die Lage bei der Geburtshilfe. Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge stirbt eine von 400 werdenden Müttern. Damit weist Pakistan weltweit die dritthöchste Müttersterblichkeitsrate auf, aber es kommt noch schlimmer. Eine meist auf Unwissen zurückgehende Fehlernährung ist dafür verantwortlich, dass viele Kinder bleibende Schäden erleiden.

Akademische Krankenpflege-Ausbildung

AKU Als Beitrag im Kampf gegen diese Entwicklung gründete die AKU, deren Spital landesweit zu den führenden Einrichtungen zählt, 2001 das Ausbildungsinstitut für Pflegepersonen und Hebammen (SONAM). Dort können die Teilnehmenden den Abschluss «Master of Science in Nursing» erwerben. Krankenpfleger mit Universitätsabschluss waren bis dahin in Pakistan undenkbar.

An westliche Vorbilder angelehnt, unterscheidet er sich deutlich von den üblichen Diplomen. Zur vierjährigen Ausbildung in Englisch gehören auch Einführungen in Natur- und Verhaltenswissenschaften. Die Teilnehmenden werden weiterhin mit den Grundlagen der Forschung vertraut gemacht und beschäftigen sich mit gesundheitlicher Vorsorge, Heilbehandlung und Rehabilitation. Neben Präsenzunterricht greift man ergänzend auf Fernunterricht oder Videokonferenzen zurück. Um den Weg von der Theorie in die Praxis zu bahnen, sind regelmässige Spital-Praktika vorgesehen.

Mehr Kompetenzen für Pflegefachkräfte

Die AKU setzt sich dafür ein, dass für die Tätigkeit als Krankenpfleger künftig im ganzen Land ein Hochschulstudium – zumindest mit dem Abschluss Bachelor – verbindlich wird. Dieser Bildungsweg erlaube den Teilnehmenden, sich umfangreichere Kompetenzen anzueignen und sich nach Bedarf weiter zu qualifizieren. Nicht zuletzt verspricht man sich davon eine Aufwertung des Pflegeberufs, der in Pakistan nur ein geringes gesellschaftliches Ansehen geniesst.

Aller Anfang ist schwer, wie auch bei diesem neuen Kurs deutlich wurde. «Wir haben mit zwei Studierenden angefangen, heute haben wir jährlich durchschnittlich 25 Teilnehmende», berichtet Abdul Aziz von der Institutsverwaltung. Seit 2013 steht auch für Hebammen ein Bachelor-Studiengang offen. «Eine studierte Hebamme – das wäre früher in Pakistan undenkbar gewesen», fügt er hinzu. Die meisten Studierenden stammen aus Pakistan, es gibt aber auch Teilnehmende aus Syrien, Afghanistan, Saudi-Arabien und Tansania. Mehr als 80 Prozent erhalten entweder ein Stipendium oder ein Darlehen von der AKU.

Daneben bietet die Universität ein spezielles Arrangement an: Wer sich verpflichtet, nach dem Abschluss vier Jahre lang im AKU-Spital zu arbeiten, bekommt die Studiengebühren erlassen, wird kostenlos untergebracht und erhält ein monatliches Taschengeld. «Das Angebot wird gerne angenommen und das erleichtert uns die Suche nach geeigneten Nachwuchspflegefachkräften», meint er.

Auch finanziell ist die Arbeit in einem Privatspital vorteilhafter. Dort verdienen Fachkräfte im Schnitt monatlich umgerechnet zwischen 190 und 210 Franken, in öffentlichen Krankenhäusern liegt der Tarif bei 130 Franken.

Mehr als nur ärztliche Anweisungen ausführen

AKU Als examinierte Krankenschwester hat Noureen Azizullah Mistry das «breit angelegte Bildungsangebot» in bester Erinnerung bewahrt. Sie schätzte neben den kleinen Lerngruppen besonders die Praktika im Spital. «Das hat mein Selbstvertrauen gestärkt und mir gezeigt, dass Krankenpflegerinnen viel mehr können, als nur ärztliche Anweisungen auszuführen», bekräftigt sie.

Rubina Bariola gehört zum Lehrpersonal und beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Herz- und Kreislauferkrankungen in armen Bevölkerungsgruppen vorgebeugt werden kann. Dazu habe die AKU im ländlichen Raum Beratungszentren eingerichtet. «Dort informieren wir über Risikofaktoren wie hohen Blutdruck, Blutzucker und Gewicht und beraten zum Thema Ernährung», berichtet sie. Nach ihrer Erfahrung finden AKU-Absolventen problemlos Arbeitsstellen, entweder in Pakistan oder im Ausland, nicht selten erreichen sie in Spitälern leitende Stellungen.

Für Amber Hussain war vor allem die finanzielle Hilfe während ihres Studiums wichtig. Als positiv vermerkt sie zudem die Kombination von Präsenz- und Fernunterricht, «denn das gibt mehr Flexibilität, studieren und Teilzeitarbeit lassen sich so besser miteinander vereinbaren.» Dass gut qualifizierte Pflegekräfte in westliche Länder auswandern, ist für sie heutzutage eher zu einer Randerscheinung geworden: «Die meisten bleiben in Pakistan, schon der Familie wegen», glaubt sie.

Nein zu männlichen Pflegekräften

Männer im Pflegeberuf machen sich auch in Pakistan rar. «Das wird kulturell einfach nicht akzeptiert», versichert Keith Cash, Dekan der Schule und dort als Lehrer tätig. «Patienten wollen Krankenschwestern, an diesem Prinzip zu rütteln ist schlicht aussichtlos», meint er.

Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Imran Ali aus Nordpakistan hat sich für die Krankenpflege entschieden. «Mir hat vor allem imponiert, dass es während der Ausbildung Foren gab, bei denen man Fragen stellen und über die entsprechenden Themen ausführlich diskutieren konnte.» Und auch ihm gefiel, dass am Spital der Universität Teilzeitstellen für die Studierenden angeboten werden. Sein Urteil über die gängige pakistanischen Krankenpflege fällt vernichtend aus: «Die Menge an examinierten Pflegekräften wird immer noch als wichtiger eingeschätzt als deren Qualität.»

Positiver Einfluss auf die Lebensqualität

AKU Zainub Masoomi aus dem Nachbarland Afghanistan ist nach ihrer Ausbildung in Karachi in die Heimat zurückgekehrt. Seither kümmert sie sich um die Versorgung von Familien in abgelegenen Regionen. Keine leichte Aufgabe, wie sie schnell feststellen musste. Fast hätte sie ihre Entscheidung rückgängig gemacht. «Die ersten Erlebnisse als Krankenpflegerin waren schrecklich. Ich stiess auf völlige Ablehnung, man wollte mir die Haustüren in den Dörfern sogar im tiefsten Winter nicht öffnen», erinnert sie sich.

Sie hat sich dennoch nicht entmutigen lassen. Zainub Masoomi will ihre Landsleute weiterhin davon überzeugen, dass gut ausgebildete Krankenpflegerinnen einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität der Familien haben. «Für mich bedeutet Krankenpflege Dienst an den Mitmenschen mit Redlichkeit und Hingabe.»

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