Ungebetene Rückkehrer

A peste, fame et bello, libera nos Domine!“

Vor Pest, Hunger und Krieg, erlöse uns, o Herr!

Allerheiligenlitanei.

 

Noch im späten Mittelalter versetzte die Pest Europa in Angst und Schrecken. Wen der Sensemann am Leben liess, war oft genug ein menschliches Wrack. Dank der Entdeckung von Impfstoffen wurde diesem Inbegriff aller Seuchen, aber auch anderen Krankheiten der Garaus gemacht. Doch Mobilität, Klimawandel, Bioterrorismus und Vogelgrippe lassen die Erinnerung überwunden geglaubte Zeiten wieder wach werden. Dies beweist Corona.

Sie ist das Synonym für Krankheit, Elend und Tod: Die Pest, der Schwarze Tod, der an den Körpern der Kranken Beulen bildet, die Haut schwarz verfärbt und absterben lässt. Die Pest, deren Namen aus dem Lateinischen kommt und Seuche bedeutet, war über Jahrhunderte die  ansteckende, tödliche Krankheit schlechthin. Die Strafe Gottes, die Geisel des Teufels, wurde über die Atemwege und Nagetiere übertragen, in rasendem Tempo, bis ihr zwischen 30 und 50 Millionen Menschen alleine in Europa zum Opfer fielen. Die Zeit der grossen Pestzüge veränderte das soziale Leben Europas: Sie löste Bittprozessionen aus, Todesangst, Vergnügungssucht, Verfall der Sitten, Verrohung des Alltags und die Flucht der Reichen.  Mancherorts wurde die Hälfte der Bevölkerung ausgerottet. Schon vor ihrer Ankunft erstarrte Europa buchstäblich vor Angst und Schrecken. Der Bau einer Pestmauer um Avignon herum nutzte genauso wenig wie vielen Reichen die Flucht. Die Menschen verfielen bei den Totentänzen in Tanzsucht und sie beschuldigten die jüdische Bevölkerung der Brunnenvergiftung. Innerhalb weniger Jahre wurde sie im deutschsprachigen praktisch ausradiert. Wahn, Entsolidarisierung, Bösartigkeit, Gemeinheit, Eigensucht und Egoismus sind die Ingredienzen des gesellschaftlichen Zerfalls, verursacht durch eine Seuche. Doch die Ursache war die beginnende wirtschaftliche Globalisierung, die der Globalisierung des Krankheitserregers den Weg bereitete.

Globalisierung einer Seuche

Dass die Pest über Rattenflöhe auf den Menschen übertragen wurden, hat erst Ende des 19. Jahrhunderts der Schweizer Arzt Alexandre Yersin heraus gefunden (siehe Box am Ende des Textes). Heute weiss man, dass sich das Pest-Bakterium einst auf die Wüste Gobi beschränkte. Dann breitete sich die Krankheit langsam entlang der Salzstrasse aus. Im Mittelalter trugen auf Menschen spezialisierte Flöhe den Erreger Yersinia pestis in sich. Kriege, Handel und Pilger-Tourismus sorgten für eine dauerhafte Globalisierung der Krankheit.

Die Ärzte waren der Pest hilflos ausgeliefert. Deshalb empfand man sie als Strafe Gottes. Ein Versuch, Gott mit den kranken Menschen zu versöhnen, war die Anrufung der Heiligen Sebastian und Rochus, die als Vermittler zu Gott angesehen wurden.

Schon früh verwendeten die Menschen die Pest als Waffe. Im 14. Jahrhundert belagerten tatarische Reiterhorden die genuesische Handelsstadt Kaffa am Schwarzen Meer. Als unter den Angreiffern eine Pestepidemie ausbrach, katapultierten sie die Leichen in die Stadt und verbreiteten dort die Krankheit. Von Kaffa aus setzte die Pest ihren Siegeszug nach Konstantinopel und schliesslich nach Sizilien fort: Die grosse Pestepidemie des Mittelalters war 1348 auf dem alten Kontinent angekommen.

Auch die Siedler Amerikas erkannten in ihrer Perfidie die Wirksamkeit von Krankheiten zur Schwächung der Gegner. Während eines kalten Winters schenkten sie der indianischen Urbevölkerung pockeninfizierte Decken.

Rückkehr von Krankheiten

„Auch wenn Pest in Europa die Geschichte mitgeprägt hat, kommt sie doch nicht an den Schrecken und das Sterben heran, welches die Lepra seit der Antike verursachte“, sagt Medizinhistorikerin Iris Ritzmann in einem Gespräch vor einigen Jahren. Die Lepra ist auch ein Beispiel des Umgangs mit den Seuchen. Zwar wurden Leprakranke ausgegrenzt, aber ihnen wurde auch in der Hoffnung geholfen, dies würde im Jenseits vergolten. Von den Seuchen war eine ganze Sanatoriums-Industrie abhängig. Im 20. Jahrhundert wurde die Tuberkulose beinahe ausgerottet und die Sanatorien in Davos verloren ihre wichtigste Kundschaft. Gerade diese Krankheit zeigt: Die Seuchen sind nicht besiegt - der Traum der Mediziner des 19. Jahrhunderts von einer seuchenfreien Welt wird nie Wirklichkeit. Im Gegenteil: Die Tuberkulose erlebt nach jahrelangem Rückgang wieder eine Zunahme. Träger des Bakteriums sind relativ viele Ausländer, die überdurchschnittlich häufig schon in jungen Jahren daran erkranken. Eine besondere Gefahr geht dabei von Antibiotika resistenten Bakterien aus.

Ein bedrohliches Ausmass haben auch Hepatitis C-Fälle angenommen. Zudem wird laut Bundesamt für Gesundheit, die Anzahl der Neuerkrankungen unterschätzt. Auch Malaria ist wieder auf dem Vormarsch. Am Denguefieber, das ebenfalls von der Tigermücke übertragen wird, erkranken jährlich Millionen von Menschen. Darunter sind auch viele Schweizer oder Flüchtlinge die in unser Land kommen. Zurzeit ist die Tigermücke sogar dabei, sich nördlich der Alpen zu etablieren. Die Verbreitung solch hochgefährlicher krank machender Viren, die etwa Ebola aber auch Vogelgrippe, Schweinegrippe oder Covid-Erkrankungen verursachen, machen nationalen Referenzlabors notwendig. Dort werden diese Viren unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt. Sie sind deshalb notwendig, dass man sie mit den Viren vermutlich Erkrankter vergleichen kann.

Mobilität und Klimaerwärmung fördern die Verbreitung schwerer Krankheiten. Nicht selten kommen Touristen mit einem unangenehmen „Begleiter“ aus ihrem Urlaub zurück, und die Ärzte werden immer häufiger mit rätselhaften Symptomen konfrontiert.

Üble Scherze

Noch in bester Erinnerung sind die Zeiten des Bio-Terrors, den Anthrax-Anschlägen in den USA kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001.  Nur wenige Wochen danach gründete die Schweiz das Referenzlabor für Anthrax, das heute im Labor in Spiez Bern angegliedert ist. Anthrax eignet sich als Terrorwaffe und ist als Lungen-Milzbrand zu 90 Prozent tödlich. Das Referenzlabor für Anthrax legt sein weiteres Augenmerk auf die Tularämie, die Hasenpest und die Pocken-Viren, die ebenfalls als Waffe eingesetzt werden können. Für den Ernstfall sollten in der Schweiz genügend Impfdosen vorhanden sein. Doch die Impfung selbst ist vor allem für Leute mit allergischen Reaktionen gefährlich.  Das Pockenvirus ist extrem leicht übertragbar, aber es braucht den Menschen als Wirt. Deshalb war seine Ausrottung auch möglich. Der letzte bekannte Pockenfall stammt aus Somalia im Jahre 1977. Die Erfahrungen des Mittelalters im Umgang mit der Pest lassen beim Thema Bioterrorismus, Vogelgrippe und Corona-Epidemie schlimme Befürchtungen aufkommen. Denn neben menschlichen Opfern leidet das gesellschaftliche Zusammenleben: Hysterie, falsche Beschuldigungen und Nachahmer waren schon bei den Anthrax-Anschlägen in den USA Begleiterscheinungen. Und die Erfahrungen in Zeiten von Corona sind nicht viel besser. Je länger die Pandemie dauert, desto zerstrittener wird die Gesellschaft.

 

Eine schwere Heimsuchung Gottes

 Wie schlimm die Heimsuchung des „Schwarzen Todes“ war, zeigt ein eindrückliches Beispiel Schweizer Prozessionsgeschichte in der St. Galler Gemeinde Mosnang. Vor etwa 50 Jahren wurde letztmals die Pestprozession durchgeführt. Sie begann in der Kirche mit der Beschreibung der Jahre 1565 bis 1569, die der Pfarrer von der Kanzel verlas:

„Im Jahre 1565 wütete zu Mosnang eine schwere Heimsuchung Gottes. Es wütete nämlich eine leidige Pestilenz, so grausam, dass im Dorfe Mosnang nur noch 93 Personen übrig geblieben, als: 30, denen Gott vor so schrecklichem Übel verschonet; 33, die zwar von der leidigen Pest überfallen worden, jedoch wieder frisch und gesund ausgestanden sind; und 30 waren so schwach, dass man sie nie verlassen durfte. Von St.-Verena-Tag 1565 bis auf die Kirchweihe 1569 sind nicht weniger als 528 Leute diesem Übel erlegen. Das Übel war so gross und das Sterben so viel, dass die Leute aus der Gemeinde Mosnang nirgends hin haben wandeln dürfen.“

 

Ein Schweizer und die Ratten

 Am 22. September 1863 erblickte Alexandre Yersin in der Waadtländer Weingemeinde Lavaux das Licht der Welt. Obwohl sein Vater schon früh starb, erbte er dessen naturkundliches Interesse. Im Alter von 21 Jahren studierte er in Marburg Medizin. Zwei Jahre später zog er nach Paris, weil er dort das praxisbezogene Studium schätzte. Nach dem Studium begann Yersin am berühmten Pasteur-Institut in Paris zu arbeiten, wo er an der Entdeckung des Diphterietoxins beteiligt war. Danach belegte er am Hygiene Institut von Robert Koch in Berlin einen Kursus im Fach Bakteriologie.

Um als Arzt in Frankreich arbeiten zu können, erwarb er sich die französische Staatsbürgerschaft. Aus Abneigung gegen den einengenden Lehrbetrieb verliess er jedoch das Institut und arbeitet als Schiffsarzt der Handelsmarine in der französischen Kolonie Indochina. Immer wieder unternahm Yersin Forschungsreisen in das noch unerschlossene Hinterland der Kolonie. Als 1893 in Südchina und Hong Kong eine Pestepidemie ausbrach, wird der Schweizer mit der Untersuchung beauftragt. Innerhalb von drei Wochen entdeckte er in den Beulen von Pestleichen das später nach ihm benannte Bakterium Yersinia pestis. Er beschrieb dieses Bakterium und identifizierte die Ratte als wesentliche Überträgerin der Seuche.

Während eines Aufenthaltes in Paris 1895 setzt er die Erforschung des Pesterregers an den Kulturen aus Hong Kong fort und entwickelt einen Impfstoff aus hitzeaktivierten Erregern und einem Pferdeserum. Ein damit behandelter Seminarist aus Kanton in China, der dem sicheren Tod geweiht war, genas nach wenigen Tagen.

Noch im gleichen Jahr wurde Yersin beauftragt, eine Filiale des Pasteur-Instituts in Indochina zu gründen. Um sie über Wasser zu halten, gliederte er dem Institut eine landwirtschaftliche Versuchsstation an und widmete sich zusätzlich der Erforschung und Behandlung von Tierseuchen. Zudem macht er den Kautschukbaum und Cinchona zur Gewinnung von Chinin heimisch. Bis zu seinem Tod lebte Yersin zurückgezogen in Indochina.