Hoffen auf die afrikanische Wende

David Nabarro ist UNO-Sonderbeauftragter für Ernährungssicherheit. Im Gespräch mit Mangel & Moral zieht er eine Bilanz zu den Milleniums-Zielen und schildert Strategien für afrikanische Kleinbauern.

Herr Nabarro, eine Halbierung des Anteils der im Jahr 1990 hungernden Menschen bis 2015 heisst eines der Milleniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Wo stehen wir heute?

David Nabarro: Die Bilanz ist zwiespältig. Es ist zwar gelungen, den Anteil der Hungernden teils deutlich zu reduzieren, aber wenn wir die absoluten Zahlen betrachten, dann sind wir nicht wesentlich weiter gekommen. Und dies, obwohl das mit Unterernährung und Hunger eng verbundene Ziel, den Anteil der unter extremer Armut leidenden Menschen zu halbieren, schon 2012 erreicht worden ist.

Man könnte auch sagen: eine ernüchternde Bilanz.

Nabarro: Sicher. Und viele Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit weisen auch durchaus mit Recht darauf hin. Ich lege keinen grundsätzlichen Widerspruch ein. Aber ich sage auch: Es ist viel passiert in den letzten zehn, fünfzehn Jahren. Wir haben heute einen weltweiten Konsens, dass noch sehr viel getan werden muss, um Hunger und Unterernährung zu besiegen. Und wir haben auch einen Konsens, dass es 2015 nicht vorbei sein kann, sondern dass es eine Fortsetzung der Milleniumsziele braucht. Diese Debatte läuft gerade an.

Das klingt eher nach einem Minimalkonsens.

Nein. Da widerspreche ich. Wir haben heute diesen weltweiten Konsens der überragenden Bedeutung der Ernährungssicherung als Teil eines sicheren Lebens. Nur wenn alle an einem Strick ziehen, kommen wir weiter. Und da sind die Voraussetzungen heute besser als vor einem Jahrzehnt.

Das heisst: zuerst Bewusstseinsbildung, dann Handeln?

Beides. Ich will nichts beschönigen. Die Herausforderung ist und bleibt sehr gross. Es geht heute nicht mehr nur darum, das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen, sondern auch den Zugang zu einer gesunden Ernährung für alle zu schaffen.

Afrika wurde, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet, von den Folgen der Finanz- und Wirtchaftskrisen der Jahre 2008 bis 2010 besonders hart getroffen. Alleine in den Staaten der Sub-Sahara litten Dutzende Millionen Menschen zusätzlich an Hunger. Nur wenige Jahre später geht die Rede, Afrika sei auf dem Sprung, in die Fussstapfen Asiens als wirtschaftlicher Motor der Zukunft zu treten. Was halten Sie von diesen Prognosen?

Eine Verallgemeinerung auf ganz Afrika ist sicher nicht zulässig. Es gibt einige Staaten des Kontinents, die sich wirtschaftlich sehr erfreulich entwickeln, namentlich Nigeria, Ruanda oder Tansania. Das macht Hoffnung, dass auch andere Länder Afrikas diese Wende schaffen.

In Afrika werden riesige Agrarflächen an ausländische Firmen verpachtet oder verkauft. Viele Entwicklungsorganisationen sprechen von Landraub. Wie sehen Sie die Lage?

Ich bin nicht grundsätzlich gegen solche Landverkäufe, vorausgesetzt, die Gesetze und Rechte der ansässigen Bevölkerung werden respektiert. Wenn bislang ungenutzte landwirtschaftliche Flächen damit einer Nutzung zugeführt werden, hat auch die lokale Bevölkerung in Form von Arbeitsplätzen etwas davon.

Aber da kam und kommt es doch regelmässig zu schweren Verstössen, von Enteignungen bis zu Vertreibungen, produzierte Lebensmittel werden exportiert, den Ortsansässigen bleiben Hunger und Elend.

Ja. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber wir haben heute immerhin auch einen Katalog von Richtlinien und Verhaltensnormen, der zunehmend respektiert wird. Das Potenzial ist da. Nun geht es darum, es auch adäquat zu nutzen. Dann haben wir eine klassische Win-Win-Situation.

Millionen Kleinbauern werden das etwas anders sehen. Was haben sie von den riesigen Plantagen, die für den Export produzieren?

Mit den Plantagen kommt auch die Infrastruktur ins Land, vor allem in Form von Strassen, aber auch Handy-Netzen. Damit haben auch viele Kleinbauern erstmals die Möglichkeit eines Marktzugangs. Das ist oft der erste Schritt, um aus der reinen Subsistenz-Landwirtschaft für den Eigenbedarf herauszukommen, die sie so anfällig macht für Hungerkatastrophen. Afrikas Landwirtschaft braucht einen solchen Entwicklungsschub. Dann hat sie das Potenzial, eine Kornkammer nicht nur für den Kontinent, sondern auch für andere Regionen der Welt zu sein.

Das ist weit vorausgeblickt.

Durchaus. Und es gilt, dabei noch viele Hürden zu überwinden.

Die Produktion von Agrotreibstoffen gefährdet die Ernährungssicherheit. Stimmen Sie zu?

Bedingt. Es stimmt, wenn primär Nahrungsmittel wie Mais, Soja oder Palmöl zur Produktion von Agrotreibstoffen verwendet werden. Dass Agrotreibstoffe bei der Getreidepreis-Explosion des Jahres 2008 eine Rolle gespielt haben, ist heute weitgehend unbestritten. Wenn Pflanzen verwendet werden, die nicht zum Verzehr geeignet sind und bei der Anlage von solchen Plantagen die Nahrungsmittelproduktion nicht beeinträchtigt wird, sehe ich durchaus Möglichkeiten.