Der Mensch gehört dem Boden
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- Von Martin Arnold
"Lasse Arbeit, Brot, Wasser und Salz für alle da sein", sagte einmal der verstorbene südafrikanische Präsident Nelson Mandela. Neben allem, was der bewunderte Friedensnobelpreisträger erreicht hat, bleibt dies ein frommer Wunsch. Mehr denn je. Arbeit ist viel da. Aber nicht für alle und viel Arbeit für wenig Geld. Wasser ist oft verschmutzt und mit Brot und Salz wird spekuliert. Wer Nahrungsmittel zurückhält, nur um Spekulationsgewinne einzustreichen, während gleichzeitig Menschen sterben, ist skrupellos. Wer Landflächen als Kapitalanlage hortet und im schlimmeren Fall sogar Ureinwohner vertreiben lässt, nur weil in deren Kultur schriftliche Landtitel keine Bedeutung haben, ist ohne Gemeinsinn, frei von menschlichen Werten – wertlos. Wer sein Land mit Zuckerrohplantage oder Ölpalmen überzieht, den letzten Orang Utans die Lebensgrundlage nimmt und den armen Geschöpfen nichts anderes übrig bleibt als menschliche Siedlungen zu überfallen, ist respektlos – gegenüber der Natur und der Umwelt.
Eine Welt, die es sich leistet, Nahrungsmittel in Benzin zu verwandeln, anstatt damit Hungernde zu speisen, hat ein moralisches Problem. Und wer dies alles finanziert – in der Hoffnung, das Geld vermehre sich, ganz einfach wegen der Zinsen – nennen wir sie Blutzinsen – ist eigentlich ein Nichtsnutz.
Grenzenlose Gier
Der Mangel der Einen hat mit der Moral der Anderen zu tun. Spekulation, Umweltzerstörung und Vertreibung sind Kinder desselben unseligen Triebes: Der Gier. Über eben diese Gier hat sich der Friedensnobelpreisträge und Inspirator der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), der Brasilianer Josué de Castro Gedanken gemacht. In seinem wegweisenden Buch „Weltgeissel Hunger“ schrieb er vor 60 Jahren, „dass der Mensch alles in allem viel mehr abgehoben hat, als er einzahlte, so dass er Schuldner bleibt.“ Gleichzeitig stellte er in dem Buch, das auch den Untertitel „Geografie des Hungers“ trägt, fest, dass sich die Hungerproblematik zu einem Tabu entwickelt hat. Das hat sich bis heute nicht verändert. Der beste Beweis dafür ist der Genfer Soziologieprofessor Jean Zieger, dessen Engagement für Ausgebeutete und Hungernde belächelt oder sogar bekämpft wird, wie von der nach ihren eigenen Angaben angeblich auf der Seite der Benachteiligten politisierenden Regierung von Barack Obama. Denn wo es Ausbeutung auf der einen Seite gibt, gibt es Reichtum auf der anderen Seite wie auch Josué de Catro im Kapitel „die Geografie des Überflusses“ festhält. Doch lassen wir uns eine weitere seiner Feststellungen durch den Kopf gehen. Er schreibt: „Der Krieg ist immer lärmend besprochen worden. Hymnen und Gedichte sind geschrieben worden, um seine rühmlichen Tugenden und seine Auslesewirkung zu feiern.“ Doch „Hunger ist die wirksamste Quelle sozialen Unglücks, aber unsere Kultur hat ihre Augen davon abgewandt, aus Furcht, der traurigen Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen.“
Grenzenlose Ignoranz
Zweifellos: Die Erkenntnis dieses Brasilianers trifft noch heute zu. Sie lässt sich sogar ausdehnen: Wirtschaftsführer werden von den schreibenden Epigonen der journalistischen Zunft wie Helden gefeiert. Wer kümmert sich um die Kollateralschäden, um das was auf dem Wegrand zurück bleibt. Mangel-und-Moral möchte genauer hinschauen. Die Journalistinnen und Journalisten, die diese Plattform betreiben, fragen, wo die vielen Pflanzen- und Tierarten geblieben sind, die es vor den Palmölplantagengab, wir möchten wissen, wieso die CO2—Konsumenten der Welt jetzt die flachen Südseeinseln und in Zukunft ganze Hafenstädte einfach untergehen lassen, wir forschen nach, wieso afrikanisches Land nach und nach in die Hände westlicher und chinesische Konzerne fällt und weshalb die einen für Gold und Diamanten ihre Gesundheit und die andere ihre Moral verlieren. Die ehemalige Plattform Brotimtank ist über die Agrotreibstoffthematik hinausgewachsen. Schlechte Politik manifestiert sich nicht nur in der Tatsache, dass Mais in Benzin verwandelt wird – während Menschen hungern. Dahinter steckt ein permanenter Unwillen, auf dieser Welt ein Stück mehr Gerechtigkeit erstehen zu lassen. Wir legen – auch auf die Gefahr hin – uns lächerlich zu machen, als Moralapostel zu gelten und belächelt zu werden, die Finger auf diese wunden Punkte. Denn es ist weder ein unabwendbares Naturgesetz, das Klima ändern zu müssen, noch Tier- und Pflanzenarten aussterben zu lassen. Und schon gar nicht, Menschen zum Hungern zu zwingen oder sie zu vertreiben. Auch wenn neoliberale Geister auf seltsame Weise Thomas Robert Malthus Weltbild scheinbar in ihre Gene aufgenommen haben. Dieser englische Ökonom der Industrialisierungszeit nahm die Brutalo-Verhältnisse der damaligen Gesellschaft zum Richtwert seiner abstrusen Hungertheorie. Sie beschreibt Verhungern als natürlichen Vorgang, weil er glaubte, die Weltbevölkerung wachse immerzu gleich linear, während die Nahrungsmittelerzeugung nur arithmetisch wachse. Der Hungertod als Naturgesetz – diese These ist zwar widerlegt, schwirrt aber immer wieder in vielen Köpfen herum. Dem entgegnet wiederum Josué de Castro mit den Worten des englischen Philosophen Bertrand Russel: „Jeder Mensch kann zur Verbesserung der Welt beitragen.“ Voraussetzung dazu ist nach seiner Meinung, dass „es nicht der Boden ist, der dem Menschen gehört, sondern der Mensch es ist, der dem Boden gehört.